Am 30.09.2010 hatte das Bundesarbeitsgericht über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung eines in einem größeren mittelständischen Unternehmen mit 200 Mitarbeitern beschäftigten Anlagenmechanikers zu befinden. Der Arbeitnehmer litt unter Wirbelsäulenschäden und erkrankte arbeitsunfähig.  Seitens der Rentenversicherung war schließlich festgestellt worden, dass er nur noch körperlich leichte Arbeit verrichten kann. Daraufhin wurde das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber ordentlich gekündigt. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage. Er war der Auffassung, er könne im Unternehmen an anderer Stelle, etwa in der Materialverwaltung, eingesetzt werden. Es sei ihm ggf. auch ein Schonarbeitsplatz einzurichten. Im Übrigen habe der Arbeitgeber versäumt, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen.

Im vorliegenden Fall kam das Kündigungsschutzgesetz zur Anwendung, da im Betrieb mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt waren. Die Wirksamkeit der Kündigung setzte daher ihre soziale Rechtfertigung voraus. Das Bundesarbeitsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass eine Kündigung im Falle lang anhaltender Krankheit sozial gerechtfertigt ist, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt – sog. erste Stufe. Diese ist dann gegeben, wenn feststeht, dass der betroffene Arbeitnehmer auch in Zukunft arbeitsunfähig sein wird bzw. wenn in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer anderen Prognose gerechnet werden kann.

Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung ist weiterhin, dass die Arbeitsunfähigkeit eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen darstellt – sog. zweite Stufe – und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen – sog. dritte Stufe.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang der das ganze Kündigungsrecht beherrschende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Kündigung ist mithin dann rechtsunwirksam, wenn sie durch mildere Mittel vermieden werden kann. Der Arbeitgeber muss daher prüfen, ob eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz in Betracht kommt. Er hat darüber hinaus nach Ansicht der Rechtsprechung alle gleichwertigen, leidensgerechten Arbeitsplätze, auf denen der betroffene Arbeitnehmer unter Wahrnehmung des Direktionsrechts einsetzbar wäre, in Betracht zu ziehen und ggf. „freizumachen“.

Weiterhin ist ein Arbeitgeber gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nunmehr bei allen und nicht nur bei behinderten Arbeitnehmern verpflichtet, ein sog. Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen. Betroffen sind alle Betriebe und nicht nur solche, in denen ein Betriebsrat besteht. Das sog. BEM soll dazu dienen, krankheitsbedingte Kündigungen von Arbeitnehmern zu verhindern. Durch die gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten soll eine geeignete Gesundheitsprävention erreicht und das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Es müssen mit allen Betroffenen die Möglichkeiten zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit sowie Präventionsmaßnahmen erörtert werden. Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben sind mit den entsprechenden Servicestellen und Integrationsämtern zu erörtern.

Bei der lang andauernden Erkrankung eines Arbeitnehmers ist es schließlich nicht selten so, dass der Mitarbeiter nur noch als sog. „Karteileiche“ geführt wird. Er erscheint nicht mehr auf Arbeit und sein Arbeitsplatz wurde anderweitig vergeben. In dieser Situation wird der Arbeitgeber an Urlaubsabgeltungsansprüche zu denken haben:

Grundsätzlich ist der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers auf das Kalenderjahr beschränkt, sofern keine abweichende vertragliche Regelung getroffen wurde. Er verfällt mithin, wenn er nicht rechtzeitig in Anspruch genommen wird. Infolge einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist das Bundesarbeitsgericht nunmehr zu der Überzeugung gelangt, dass gesetzliche Urlaubs(abgeltungs)ansprüche nicht erlöschen, wenn Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deswegen arbeitsunfähig sind.

Dies bedeutet, dass sich Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern, die über Jahre hinweg erkrankt sind, aber in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, summieren. Diese müssen dann vom Arbeitgeber abgegolten werden, wenn es zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt.

Insgesamt ist festzustellen, dass bei einer lang anhaltenden Krankheit eines Arbeitnehmers zahlreiche Umstände beachtet werden müssen. Das mögliche weitere Vorgehen sollte ein Arbeitgeber mit einem Rechtsanwalt seines Vertrauens abstimmen, um unnötige Kosten oder gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Einem Arbeitnehmer, der von einer personenbedingten Kündigung betroffen ist, kann ebenfalls die Inanspruchnahme von Rechtsrat nur dringend empfohlen werden. Meist ist es sachgerecht, innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung die Kündigungsschutzklage zu erheben. Zusätzlich sind dann etwa noch Urlaubsabgeltungsansprüche bei Gericht einzuklagen.

Claudia Fischer

Rechtsanwältin und Angestellte der

Rechtsanwälte Alexander Troll & Ivo Sieber